Nach den Bäumen, fällt im Wald von Sivens ein Mensch
Stellungnahme von Mitgliedern der Demonstrations-Koordination für die landesweite
Mobilisierung gegen das Staudammprojekt am 25. Oktober 2014.
Das erstaunlichste an der seit einem Jahr andauernden Affäre um das Projekt des Staudamms
von Sivens ist das skandalöse Missverhältnis zwischen den angeblichen Zielen des Projektes
und den Mitteln, die von den politischen Autoritäten im französischen Département Tarn
eingesetzt werden, um es durchzusetzen.
Der Staudamm soll, laut der parlamentarischen Vertretung des Départements, zu « 70% der
Bewässerung » und zu « 30% der Regulierung des Wasserstandes des Tescou » dienen. Diese
Argumentation basiert auf einer Studie, die 2001 von der Compagnie d’aménagement des
coteaux de Gascogne (CACG) angefertigt und die angeblich 2009 nochmals erneuert wurde.
Auf dieser Grundlage wurde die CACG mit der Bauleitung beauftragt. Als aber das Kollektiv
zu Rettung des Testet (Collectif de Sauvegarde du Testet) schließlich Einsicht in die Studie
von 2001 bekam, zeigte sich, dass diese Daten, die 2001 vermeintlich das Projekt
gerechtfertigt hätten, nicht noch einmal aktualisiert worden waren, obwohl sich die Situation
inzwischen radikal verändert hatte. Zum einen ist der Bedarf der Landwirte nach
Bewässerung stark gesunken. Angesichts eines Klimas, das immer stärker mediterrane Züge
annimmt, haben viele unter den Bauern inzwischen, der Maiskultur, die einen starken
Wasserbedarf hat, den Rücken gekehrt. Zum anderen haben die zwei Betriebe aufgrund deren irregulärer Abwasserpraxen die Regulierung des Wasserstandes des Tescou vor allem
notwendig gewesen wäre – eine Milchkooperative und ein Klärwerk – mittlerweile ihre
Produktion den Normen angepasst.
Angesichts der schlechten Argumentationslage haben sich die Autoritäten dazu entschieden
das Vorhaben mit Druck durchzusetzen. Abgesehen davon, dass sie die Zahlen vertuscht und
beschönigt haben, wurden niemals die negativen Stellungnahmen von anderen beratenden
staatlichen Gremien, wie etwa dem Nationalen Rat für Naturschutz (Conseil national de
protection de la nature) zur Kenntnis genommen. Auch einer öffentlichen und kontroversen
Debatte, die das Kollektiv zur Rettung des Testet seit einem Jahr fordert, entzog sich die
Regionalregierung. Die Abholzung des Waldes wurde begonnen, ohne die juridisch
notwendigen Prozeduren zu respektieren und ohne das Resultat der drei gegen das Projekt
angestrengten Gerichtsverfahren abzuwarten. Aufgrund der Waldbesetzung durch
Naturschutzaktivist_innen, mussten zur Durchführung des Bauvorhabens hunderte von
Polizisten eingesetzt wurden. Diese gewaltsame Vorgehensweise führte im Oktober 2013 zur
Gründung eines neuen Kollektivs zum Schutz des Waldes, les « Bouilles », die mit dezidiert
pazifistischen Mitteln, wie dem Erklettern von Bäumen oder dem Eingraben auf den Wegen,
die die Maschinen nutzen, gegen das Projekt protestieren.
Der Kontrast zwischen der Nichtigkeit, der für das Projekt ins Feld geführten Gründe und der
Verbissenheit, mit welcher dieses von den Autoritäten durchgesetzt wird, hat am letztenWochenende seinen Höhepunkt erreicht. Bereits einige Tage im Vorfeld der von einer
Koordination1 für Samstag den 25. Oktober organisierten nationalen Demonstration schien
sich der Wind gewendet zu haben. Die von den Projektgegner_innen vorgebrachten
Interessenskonflikte waren inzwischen auch von den nationalen Medien zur Kenntnis
genommen worden (vgl. Le Monde du 24/10 und Le Figaro du 26/10). Zudem war
durchgesickert, dass ein von ministeriellen Experten angefertigter Bericht, die Argumente der
Gegner_innen stützen werde. Für eine Fortführung der Arbeiten gab es kein Motiv mehr. Den
Befürworter_innen des Projektes blieb nur noch das Argument, der vermeintlichen Gewalt der Projektgegner_innen, welche die Notwendigkeit für die Durchsetzung des ‘Rechtsstaates’ im Wald von Sivens rechtfertige.
In der Nacht vom Samstag den 25. Oktober auf Sonntag den 26., fiel gegen 2h morgens der
21jährige Rémi den Schüssen dieses ‘Rechtsstaates’ zum Opfer. Laut mehreren
Zeugenaussagen habe ihn eine Blendgranate mit einem eigentlich verbotenen direktem Schuss an der Schulter getroffen.
Egal welcher Polizist die Granate schoss und welcher Offizier dazu den Befehl oder die
Autorisierung gab, ist die zentrale Frage zur Klärung der Verantwortlichkeiten für dieses
Drama, was die Polizeieinheiten Samstag Nacht überhaupt in dem Wald machten, obwohl der Präfekt versichert hatte für diesen Tag auf eine Polizeipräsenz im Waldgebiet zu verzichten um die zu erwartenden Auseinandersetzungen zu verhindern. Kein Arbeiter und keine Maschine befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Gelände. Die einzige Maschine, die im Vorfeld nicht evakuiert worden war, brannte schon am Vorabend ab. Warum waren also 250 Polizisten und Spezialkräfte der CRS in dem Camp verschanzt, wo sonst die Maschinen gelagert wurden – nur 2 Kilometer von dem Versammlungsort der laut Veranstaler_innen 7000 Demonstrant_innen entfernt? Sollte hier das leere Camp geschützt werden?
Der einzige Grund, der die übermäßige Anwesenheit von Sicherheitskräften in Sivens an
diesem Tag rechtfertigt ist demnach der Wille der Regionalverwaltung die Situation an diesen zwei Demonstrationstagen eskalieren zu lassen. Es ist ihnen so gut gelungen, dass dabei ein Mensch gestorben ist.
Wir stehen unter Schock. All unsere Wünsche und Gedanken gehen an die Familie von Rémi.
Weitere Informationen (auf Französisch), finden sich unter http://www.collectif-testet.org/
und in der angehängten Pressemitteilung.
1 Es handelt sich um die zwei genannten Kollektive, in Zusammenarbeit mit dem Bauernverband,
« paysans non productivistes de la région » und einer Bürgerallianz gegen die steigende Polizeigewalt um
das Projekt.
Weitere Stellungnahme von der ZAD bei Notre-Dame-des-Landes
Zum Tod von Remi Fraisse
Aufruf zu Demonstrationen gegen staatliche Gewalt – in Nantes und anderswo
Versammlung diesen Montag 18 Uhr vor der Präfektur in Nantes
Vorbereitungs- und Informationstreffen ab 15 Uhr Place du Bouffay
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde ein Demonstrant, Rémi, bei den sich entwickelnden Zusammenstößen nach einer Kundgebung gegen das Staudammprojekt im Wald von Sivens im Moorgebiet Testet im Department Tarn (Südfrankreich) getötet.
Rund 7000 Personen kamen auf dem ZAD in Testet zusammen nach monatelangen Polizeiattacken, der Zerstörung des Feuchtbiotops und der Unterkünfte derjenigen, die es verteidigten. Am späten Nachmittag und dann später in der Nacht griffen einige Dutzend Personen die Repressionskräfte an, welche die Baustelle bewachten. Auf diese Weise wollten sie ihrer Wut Ausdruck verleihen und den Fortgang der Arbeiten, der für Montag vorgesehen war, aufhalten. Sie wurden mit Gummigeschossen, Blendschockgranaten, Einkesselungsversuchen und Tränengas zurückgedrängt. Genossinnen und Genossen in Testet bezeugten, dass Rémi, von Granaten beschossen, zusammenbrach und dann von Repressionskräften mitgenommen wurde. Die Präfektur erklärt, in dieser Sache vor dem Ergebnis der Autopsie am Montag keine Erklärung abgeben zu wollen. Die Regierung hat bereits begonnen, die Demonstrantinnen und Demonstranten zu stigmatisieren und versucht bewusst, zu spalten, um Verwirrung zu stiften und das Geschehene zu vertuschen. Doch sie wissen genau, dass egal was sie machen, dieser Tod explosive Konsequenzen haben wird.
Dieser Tod eines Widerständigen ist leider in diesem Kontext nicht überraschend. In Notre-Dame-des-Landes, in Testet und überall wo wir uns ihren Plänen widersetzen, mussten wir uns mit dem knallharten Einsatz staatlicher Gewalt auseinandersetzen. Wurde uns auf unserer Seite klar, dass wir uns nicht in die Rolle fügen können, ihnen folgsam bei der Zerstörung unserer Leben zuzuschauen, zeigten sie uns wiederum, dass sie uns keinerlei Zugeständnisse machen würden. Während der Monate der Räumung des ZAD in Notre-Dame-des-Landes wurden zahlreiche Genossinnen und Genossen durch Gummigeschosse und Granaten schwer verletzt. Auf der einzigen Demonstration am 22. Februar 2014 in Nantes haben drei Personen durch auf den Kopf gezielte Gummigeschosse das Augenlicht verloren. In den Wochen in Testet wurden ebenfalls mehrere Personen verletzt, und weitere tragische Unfälle wurden gerade noch verhindert, als Widerständige aus ihren Quartieren vertrieben wurden, speziell den Baumhütten, die sie gebaut hatten. Doch ist das unter anderem auch positiv, denn Tausende von Menschen widersetzen sich physisch den Bauarbeiten, den Räumungen, der Polizeibesatzung ihrer Lebensräume, so dass das Flughafenprojekt von Notre-Dame-des-Landes vor dem Aus steht und der Staudamm in Testet und die ihm noch folgen sollen, weitestgehend in Frage gestellt sind. Dieses Engagement in Aktion hat diesen Kämpfen eine ansteckende Kraft verliehen, die heute überall eine Bedrohung für den Ausverkauf des Territoriums darstellt.
Jeden Tag übt sich die Repression an denen, die in den Gefängnissen, in den Stadtteilen, in den Abschiebeknästen kämpfen, und reißt dabei eine Reihe von Toten mit sich, die allzu oft vergessen werden, pro Jahr mehrere Dutzend. Angesichts von Erhebungen und Widerstand zeigt die liberale Demokratie, dass sie nicht nur durch die minutiöse Domestizierung der Individuen und der Lebensräume oder durch die Beherrschung des Ökonomischen und des Sozialen fortbesteht, sondern auch durch entschlossene Anwendung von Terror.
Wir rufen dazu auf, ab morgen überall Straßen und Orte der Macht zu besetzen, zum Zeichen unserer Trauer, zum Gedenken an unseren am Samstag ermordeten Genossen und zum Ausdruck unserer Wut auf die Gewalt des Staates. Wir lassen nicht zu, dass sie uns mit ihren so genannten “nicht-tödlichen” Waffen umbringen. Reagieren wir kraftvoll, auf dass es ein Davor und ein Danach dieses Todes gebe. Bestätigen wir noch stärker unsere Solidarität mit allen, die in Testet und anderswo gegen ihre von der Logik des Profits und der Kontrolle diktierten Projekte kämpfen, und auch mit allen, die überall sonst weniger bemerkt unter den Schlägen der Repression fallen. Wir lassen uns weder spalten noch von der Angst lähmen. Wir leben und kämpfen weiterhin auf den Gebieten, die sie zu vernichten träumen, und stellen uns ihnen in den Weg.
Wir lassen kein Schweigen mehr aufkommen, wir vergessen nicht!
Die Besetzerinnen und Besetzer des ZAD in Notre-Dame-des-Landes