[Dijon] Autonomes Viertel „Les Lentillières“ im Widerstand
Seit fünf Jahren tobt im französischen Dijon die Auseinandersetzung um ein Gelände entlang der rue Philppe Guignard, das im Frühjahr 2010 im Vorfeld des Via-Campesina-Aktionstages besetzt und seither stetig erweitert wurde. Neben Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten bietet der „freie Stadtteil“ auch Wohnraum für verschiedene Gruppen, die den von der Stadtverwaltung angestrebten Gentrifizierungsplänen trotzen. Am 17. Oktober beteiligten sich etwa 400 Menschen an einer kreativen Demonstration für den Erhalt des „Quartier libre des Lentillières“. Die Stadtverwaltung um den größenwahnsinnigen Bürgermeister F. Rebsamen will mit einem so genannten „Ecoquartier“ im Sinne einer vermeintlich ökologischen Gentrifizierung glänzen und plant die Zerstörung und Versiegelung des gesamten Distrikts. Ein Bericht über die Demonstration, den Kontext der Freiraumkämpfe in Dijon und die polizeiliche Unverhältnismäßigkeit.
Autonome Medienkollektivberichte zu Dijon:
Hintergrundbericht Dijon 2007 | AZ Tanneries bleibt | Squat Tobbogan | Besetzung Lentillières 2010
Squat Dijon – Radis to fight
Dijon erfreut sich seit Jahren einer aktiven autonomen BesetzerInnen-Szene, die neben dem Lentillières-Viertel auch weitere Besetzungen unterhält, sich in Kämpfe der Geflüchteten involviert und zuletzt die Legalisierung der Tanneries 2 als neues Autonomes Zentrum durchsetzte.
Vorweg sollte hervorgehoben werden, dass die ursprüngliche Besetzung des Geländes nahe der Bahnlinie im Südosten der Stadt ein gemeinschaftliches Gartenprojekt von NachbarInnen und AktivistInnen etablieren sollte. Die Breite des Widerstandes, die auch mit der zeitgleich erfolgten Verdrängung für die erste Bauphase des neuen Ökostadtteils zusammenhängt, mündete jedoch in einem kleinen „befreiten Viertel“. Teil davon sind neben vielen kleinen Parzellen, die zur Gemüseselbstversorgung dienen, dutzende Menschen, die in mehreren besetzten Häusern leben, ein Infoladen und ein belebtes Nachbarschaftscafé.
Doch fangen wir vorne an: Seit über zwanzig Jahren spielt Dijon als Stadt linker Bewegungen und in Sachen ungehorsamen Aneignungen eine bedeutende Rolle. Besonders heraus sticht hierbei auch das Autonome Zentrum Tanneries. Dieses hat seit dem Beginn als Besetzung in einer leerstehenden Industrie-Gerberei Ende der Neunziger Jahre, viele linke Projekte hervorbringen und unterstützen können. Die Ausrichtung war immer eine grenzüberschreitende, wovon beispielhaft die Unterstützung des damals bedrohten Ungdomshuset in Kopenhagen 2005 oder etwa die Ausrichtung der Peoples-Global-Action Konferenz 2006 zeugen.
Legalisierung, Verdrängung, Widerstand
Nach einer angespannteren Phase um 2010 herum gab es neben Druck von der Straße auch zunehmend Verhandlungen mit der verhassten Verwaltung, die letzten Endes in einer langfristigeren legalen „Lösung“ mündeten. Vergangenes Jahr begann der schrittweise Umzug in das neue AZ „Tanneries 2“, während das Rathaus die letzten besetzten Häuser und Hallen auf dem Gelände der Bauphase I des „Ökoviertels” räumen und zerstören ließ.
Die Auseinandersetzung fokussierte sich nun zunehmend auf die Verhinderung der Bauphase II und den Erhalt der Gärten und Häuser auf dem noch immer besetzten Gelände. Dort hat sich unter anderem das feministische Squat „La Cyprine“ etabliert, neben dem „Chez Papy“ und weiteren Häusern. Seit einem Monat gibt es auch ein neues Geflüchteten-Squat im Quartier des Lentillières. Seit vielen Jahren spielt die Unterstützung der Kämpfe von MigrantInnen eine große Rolle in Dijon. Bei der Räumung eines Geflüchteten-Squats nahe den alten Tanneries im Frühjahr 2015 gab es einen Riot auf dem Boulevard de Chicago.
Dort, wo einst das alte AZ und weitere Squats zuhause waren, verbleibt vorerst eine Schuttwüste. Die Perspektive ist ein Stadtteil von dem alle bisherigen BewohnerInnen des Viertels ausgeschlossen werden.
Les fruits de la Sarkozie
Zugleich schlägt auch die Ordnungspolitik neue Töne an. Spätestens seit dem polizeilichen Mord an Rémi Fraisse im südfranzösischen Tarn im Oktober 2014 herrscht in Dijon und auch in ganz Frankreich eine angespannte politische Stimmung. Den Mord an Rémi quittierten Dijoner Autonome mit der Entglasung von Teilen der Innenstadt und Angriffen auf Bullenwachen, woraufhin die Bullen im letzten Jahr präsenter und aggressiver wurden. Viel Spielraum sollte es nicht geben für anarchistische Aktivitäten, für unangemeldete und wilde Demonstrationen.
Dies zeigte sich auch auf der Demonstration am 17. Oktober, die als eine kreative und kämpferische Parade durch die Innenstadt geplant worden war. Die Bullen riegelten mit einem Großaufgebot den Demotreffpunkt sowie große Teile der Innenstadt ab. Die massiven Vorkontrollen an den Eingängen zum Platz, die Präsenz von Zivicops und Provokationen durch das Auffahren zweier Wasserwerfer sowie die Hubschrauberunterstützung schafften ein äußerst versammlungsfeindliches Klima.
Parade für den freien Stadtteil
Die Bullenblockade mündete in einigen Rangeleien als Autonome versuchten mit Soundwagen, Traktoren und Parade-Equipment in den Stadtkern vorzudringen. Dies gelang trotz des unverhältnismäßigen Bullenaufgebots, doch wurden der LKW, die Traktoren und das Fahrradkarussel am Theater blockiert, woraufhin die Versammlung einige hundert Meter vom eigentlichen Auftaktort dem Place de la Lib’ mit einer Stunde Verspätung begann.
Nach der Auftaktkundgebung und der ersten Band fand eine Martial-Gardening-Choreographie vor der Bullenkette statt. Als die Parade sich auf den Weg machte, entfaltete sich in der Mündung zur “rue des bons enfants” ein lautstarker und von Pyrotechnik begleiteter Protest gegen die Festnahme eines Linken.
Mit lauter Musik, Bengalos und Stadtmobiliarverschönerungen zog die von der Öffentlichkeit an jeder Seitenstraße Richtung Stadtzentrum abgeschottete Demonstration an der Altstadt entlang. Nach dem Place Wilson gab es immer mehr Sprühereien und leichtere Sachbeschädigungen. Die Demo endete am Spätnachmittag ohne größere Zwischenfälle im autonomen Stadtteil, wo die gute Nachbarschaft, Jazzmusik und Volxküche warteten.
Wir sehen uns auf der Straße und in den Häusern und Gärten!
Für praktische und grenzenlose Solidarität!
ZAD Lentillières s’enracine!